Transkript: Andreas Döring
!Bearbeitetes O-Ton Transkript!
Wir haben in dieser Spielzeit eine Produktion von dem kurdischen Autoren Bachtyar Ali gemacht. Das Stück heißt genauso wie der Roman: „Die Stadt der weißen Musiker“. Wir haben es im März zur Premiere gebracht und es lief dann vier, fünf Wochen lang.
Die Handlung des Stückes ist einfach gesagt, die Entdeckung einer Hauptfigur, die in einer Stadt erwacht und diese Stadt scheint surreal zu sein. Diese Figur, Dschaladat heißt sie, entdeckt, dass sie aus einer Zwischenwelt kommt. Vermutlich sogar tot war oder tot ist, das weiß man nicht. Auf der Reise, die diese Figur macht, muss sie erst einmal erfahren, was ihr widerfahren ist. Dschaladat war als Junge schon als Musiker mit einem Lehrer und einem Freund unterwegs und sie kamen in kriegerische Auseinandersetzungen. Das Ganze spielt auf die Bürgerkriegssituation, den Exodus und die Vertreibung unter Saddam Hussein an, in dieser Zeit ist der Roman angesiedelt.
Dschaladat erfährt, dass er von einem irakischen Offizier erschossen wurde, aber nicht tödlich und dann in diese Stadt gebracht wurde. In der Stadt trifft er zwei Freunde. Einer davon ist ein Doktor, dessen eigentliche Leidenschaft darin besteht, Kunst zu sammeln. Und jetzt kommt das Besondere dieses Buches: Nicht Kunst, die vor einem Krieg oder vor der Zerstörung durch Krieg gerettet werden soll, sondern er sammelt die Kunst, die noch gar nicht entstanden ist, von all den Menschen, die gestorben sind. Das ist natürlich etwas nicht Fassbares, etwas Surreales, es ist also mehr ein Wunsch als eine Tatsache. Und Dschaladat soll ein Botschafter für die Welt, in der diese Kunst gesammelt werden kann, werden. Hinter dieser Welt gibt es quasi noch eine Stadt, das ist die Stadt der weißen Musiker, in der eben all diejenigen leben können, die durch den Krieg zu früh gestorben sind und keine Spuren mehr in diesem Leben hinterlassen können.
Die Idee zu dem Stück kam mir zum einen, weil wir anlässlich des sehr nahen Krieges in der Ukraine einen Stoff gesucht haben, der sich mit dem Thema Frieden und Versöhnung auseinandersetzt. Zum anderen haben wir ganz bewusst im kurdischsprachigen oder im kurdisch-kulturellen Bereich gesucht: Aus dem Wissen heraus, dass hier in unserer Stadt nun schon seit vielen Jahrzehnten sehr viele Menschen entweder aus dem Umstand heraus, dass sie vor Saddam geflohen sind, leben oder aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Vertreibung und all dem, was das für kurdischstämmige Menschen nach sich gezogen hat. Wir haben deswegen auch einen Stoff für diese Community gesucht und weil das Thema ein Thema ist, welches leider schon seit Jahren gerade in diesem Bereich der Region die Menschen sehr prägt.
Wichtig war dabei, dass wir einen Schauspieler, ursprünglich sollten es zwei sein, gewinnen, der selber Kurdisch sprechen kann und aus diesem kulturellen Bereich kommt. Da hatten wir Glück mit Alan Ciwan, der dann zu uns ins Ensemble gekommen ist und der uns auch bei den Übersetzungen und bei der Zweisprachigkeit des Stückes geholfen hat. Bei einem Stück gibt es immer zwei dialogische Prozesse, einen nach außen zu den Menschen und einen innerhalb des Theaters. Wenn wir uns vorher mit dem Stoff beschäftigen, ist das etwas sehr Dialogisches. Da tauchen viele Fragen auf und die Offenheit im Ensemble, jetzt hier einmal auch in fremden Schuhen zu gehen oder auch in einer fremden Sprache ein bisschen Text zu lernen und sich mit einem ganz fremden, nicht so bekannten Thema auseinanderzusetzen, war bemerkenswert. Das hat eigentlich alle sehr gepackt. Inwieweit das auch bei den Zuschauer_innen hinterher so wahrnehmbar war, dafür gibt es immer zwei Aspekte. Man kann einerseits anschauen, wie viele Menschen gekommen sind und andererseits, wie es diejenigen, die es gesehen haben, empfunden haben und was sie erlebt haben. Von daher würde ich die Frage nach der Resonanz des Stückes in diese zwei Kategorien aufteilen. Es gab schlechte Resonanz, was die Nachfrage angeht. Meine Erklärung ist, dass es in diesen Zeiten schwierig ist, kulturinteressierte Menschen zu überzeugen, sich auch einem schwierigen oder sogar einem kriegerischen Thema auszusetzen. Ich werbe aber nach wie vor dafür und sage: Man muss im Theater keine Angst haben, denn es geht nicht darum, dass man etwas wiederkäut, was man von den Nachrichten kennt, sondern es geht hier um andere Perspektiven. Es geht um andere Perspektiven, vor allem was die Frage nach Frieden und nach Versöhnung und was damit zusammenhängt angeht.
Deswegen machen wir nächstes Jahr auch ein Stück zum Thema „ezidischer Glauben und ezidisches Leben“ aus der Perspektive, was in Syrien passiert ist, also Exodus und Vertreibung. „Die Sommer“ von Frau Othmann machen wir jetzt. Das machen wir aber als Jugendstück. Aus der Überzeugung heraus, dass in den Schulen der Kontext einfach evident und klar ist. Es kommen so viele Schulen, da können sie dem Thema nicht ausweichen. Deswegen haben wir (quasi als Folge der geringen Nachfrage) beschlossen, dass wir das Thema jetzt bei ab 14-Jährigen bringen wollen. Das Thema ist eigentlich ganz einfach: Wir sitzen zusammen in einer Klasse, wir sitzen zusammen in einem Bus und sind in Celle und trotzdem sind die Ereignisse weit weg von uns. Die kriegerischen Ereignisse prägen unser Miteinander auch hier. Wir wissen es nur nicht! Und es würde viel passieren, wenn wir einfach eine Frage stellen würden oder auch erzählen würden. Das finde ich bei diesem Othmann-Stoff ganz gut, dass da auch noch eine Generationenfrage einer jüngeren Generation auftaucht. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht alle älteren Kurd_innen toll finden, was Frau Othmann da schreibt. Aber es ist eben ein sehr ehrlicher Stoff zum Thema Identität: Was heißt es, hier in Deutschland eine junge Ezidin zu sein?
Bearbeitungshinweis: In Fällen, in denen im mündlichen Interview das generische Maskulinum verwendet wurde, haben wir uns entschieden, in der bearbeiteten Textversion die Schreibweise mit einem Unterstrich zu verwenden. Dies soll verdeutlichen, dass Menschen aller Geschlechter gemeint sind.