Oberlandesgericht Celle

Die IS- Prozesse

Transkript Interviewausschnitt: Andreas Keppler (2)

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Warum finden die IS- Prozesse hier am Oberlandesgericht in Celle statt? Vom Grundsatz hatte ich eben schon geschildert, dass das Oberlandesgericht Celle für Staatsschutzverfahren zuständig ist, unter anderem für Terrorismusvorwürfe. Und der IS wird von Gerichten regelmäßig als eine terroristische Vereinigung eingestuft. Er habe es sich unter anderem zum Ziel gesetzt, so verschiedene Urteile, die bisher ergangen sind, die ezidische Religion zu vernichten. Angehörige dieser Religion würden zwangskonvertiert, Frauen vergewaltigt und nicht konvertierungsbereite Männer hingerichtet. Das ist, so die Gerichte einhellig, das ist Terror. Deshalb wird der IS als ausländische, terroristische Organisation eingestuft. Und wer sich an dem IS beteiligt, sei es als Mitglied oder sei es, dass er ihn unterstützt, materiell oder durch Kampfhandlungen beispielsweise, der macht sich dadurch strafbar, kann sich dadurch strafbar machen. Und das sind alles Vorwürfe, die eben hier als Staatsschutzverfahren am Oberlandesgericht Celle verhandelt werden.

Das Oberlandesgericht Celle ist hier für Niedersachsen immer dann zuständig, wenn die Tat, also zum Beispiel eine Unterstützungshandlung oder eine Werbemaßnahmen oder so, hier in Niedersachsen begangen wurde oder aber auch dann, wenn der Angeklagte/ die Angeklagte in Niedersachsen wohnt oder früher gewohnt hat. Wir haben ja durchaus auch Anklagen gegen Personen, die die Taten in Syrien begangen haben oder im Irak begangen haben, dort in Gefangenschaft gekommen sind. Die kommen dann immer zu uns nach Celle, wenn sie früher hier gewohnt haben, im Bezirk, also im Land Niedersachsen.

Hier im Oberlandesgericht Celle wurden bereits viele IS- Prozesse geführt, unter anderem auch eins der aufsehenerregendsten und spektakulärsten IS- Verfahren in Deutschland. Das war das Verfahren gegen den sogenannten Prediger ohne Gesicht, der sich auch Abu Walaa nannte und in Hildesheim gepredigt hat. Er hat immer mit dem Rücken zur Gemeinde gepredigt, daher sein Name. Dieses Verfahren war extrem aufwendig, es wurden in diesem Verfahren über 120 Zeugen und Sachverständige gehört. Das Verfahren hat hier am Oberlandesgericht Celle alleine deutlich über drei Jahre gedauert. Der Senat hat aufgrund dieser sehr umfangreichen Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass Abu Walaa quasi der Vertreter des IS in Deutschland war. Er war eine weit angesehene Persönlichkeit des IS. Er hat teilweise Streitigkeiten für den IS hier geschlichtet. Er hat Werbung betrieben, er hat teilweise auch entschieden, wer ausreisen sollte und wer nicht. Das war, so der Senat, eine ganz zentrale Figur des IS hier in Deutschland. Der Senat hat ihn im Jahr 2021 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das ist schon eine, für solche Taten, bemerkenswerte Strafe.

Grundsätzlich ist der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen, terroristischen Vereinigung, mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht. Unterstützung kann etwas milder bestraft werden, von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Da bei Abu Walaa mehrere Vorwürfe zusammenkamen, liegt die Strafe jedoch leicht über der Höchstgrenze.

Weitere Prozesse im Zusammenhang mit dem IS wurde gegen sogenannte Rückkehrer geführt, also Personen, die typischerweise in Syrien oder im Irak für den IS tätig waren. Dabei handelt es sich, Stand heute, um sechs Angeklagte. Und schließlich gibt es noch verschiedene Verfahren gegen Personen, die den IS aus Deutschland heraus unterstützt haben. Sie haben beispielsweise für ihn geworben, haben Propaganda gemacht oder haben Geld für den IS nach Syrien überwiesen.

Diese Staatsschutzverfahren allgemein, aber die IS Prozesse im Allgemeinen, finden hier im Oberlandesgericht in einem gesonderten Sicherheitssaal statt, weil, so auf jeden Fall die Gefährdungseinschätzung der Polizei, nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu Anschlägen kommt, im Zusammenhang. Wenn sie hier durch Celle gehen an solchen Prozesstagen, werden sie auch durchaus häufig relativ schwer bewaffnete Polizeibeamte in der Innenstadt sehen. Das ist eine erhebliche Belastung für die Stadt Celle. Wir hier im Oberlandesgericht, wir hoffen darauf, dass wir möglichst bald ein eigenes Staatsschutzgebäude etwas außerhalb bekommen, um diese Prozesse reibungsloser, insbesondere ohne die Friktion für die Allgemeinheit, durchführen zu können. Trotz dieser grundsätzlichen Gefährdungslage sind die IS Verfahren, wie grundsätzlich alle anderen Gerichtsverfahren auch, öffentlich. Soweit freie Plätze vorhanden sind, können sie deshalb als Besucher an den Verhandlungen teilnehmen und sich selbst informieren wie die Verhandlung ablaufen. Richten sie sich allerdings bitte auf Sicherheitskontrollen ein, die gerade in diesen Verfahren doch relativ streng sind.

Die Angeklagten in den IS- Verfahren haben die unterschiedlichsten Hintergründe. Teilweise stammen sie aus Syrien, dem Irak und anderen arabischen Ländern. Teilweise handelt es sich aber auch um Deutsche, die zum Islam konvertiert sind und sich anschließend radikalisiert haben. Zentrale Anklagepunkte sind, wie schon erwähnt, die Mitgliedschaft in einer ausländischen, terroristischen Vereinigung, beziehungsweise die Unterstützung einer solchen Vereinigung. In Einzelfällen wurde den Angeklagten noch weitere Vorwürfe gemacht, beispielsweise der Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wie die Verfahren im Einzelnen ablaufen, ist völlig unterschiedlich. Es gibt Verfahren, wie das gegen den sogenannten Abu Walaa, mit einer extrem aufwändigen Beweisaufnahme. Es gibt einzelne Verfahren, in den die Angeklagten relativ früh geständig sind. Ein solches Geständnis folgt häufig dann, wenn sie mit falschen Erwartungen in den Irak oder nach Syrien gegangen sind und dann dort von den Realitäten teilweise heftig enttäuscht wurden. Teilweise erfolgt ein Geständnis natürlich auch erst dann, wenn die Beweislage überhaupt schon erdrückend ist, also wenn man den Kopf nur noch versucht, aus der Schlinge zu ziehen. Oft gehen diese Verfahren auf Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren zurück, aus denen sich Querverbindungen ergeben, in denen beispielsweise die Personen, die dann angeklagt werden, wieder als IS- Kämpfer oder Unterstützer bezeichnet wurden. Viele Erkenntnisse gehen auch in der Tat auf Auswertung von Handy- Videos zum Beispiel oder Fotos oder auch Chat-Verläufen zurück. Aus denen sich entsprechende Erkenntnisse ergeben und die bei einem entsprechenden Verdacht auch verwertet werden können. Viele Fragen können natürlich nur durch Zeug_innen geklärt werden und Zeug_innen, das wissen Sie, sind vor Gericht verpflichtet auszusagen und die Wahrheit zu sagen, es sei denn natürlich, sie würden sich durch diese Aussage selbst belasten oder sie seien mit den Angeklagten verwandt, dann müssen sie nicht aussagen. Die Strafen sind in IS-Verfahren, wie in allen anderen Strafverfahren auch, sehr unterschiedlich. Sie richten sich immer nach der individuellen Schuld des jeweiligen Angeklagten. Der sogenannte Prediger ohne Gesicht aus Hildesheim, den der Senat als führenden Vertreter des IS in Deutschland eingestuft hatte, wurde zu einer recht hohen Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Andere Täter_innen, die den IS beispielsweise mit Geldzahlung unterstützt haben, haben im Einzelfall auch nur Bewährungsstrafen erhalten.

Bearbeitungshinweis: In Fällen, in denen im mündlichen Interview das generische Maskulinum verwendet wurde, haben wir uns entschieden, in der bearbeiteten Textversion die Schreibweise mit einem Unterstrich zu verwenden. Dies soll verdeutlichen, dass Menschen aller Geschlechter gemeint sind.