Großer Plan

Völkermord an Ezid_innen

Transkript Interviewausschnitt: Hatti Kizilyel

!Bearbeitetes O-Ton Transkript!

Zum damaligen Zeitpunkt hat ja diese, diese Terrororganisation IS ihr Unwesen getrieben, in der ganzen Region. Man hat dann aber auch praktisch von einer auf die andere Sekunde, Jagd auf die Menschen im Shingal gemacht und hat dann praktisch so eine Art Säuberungsmaßnahme durchgeführt. Ich gehe mal davon aus, in der Hoffnung, dass es eh keinen interessiert. Das man sagt, wir reißen uns jetzt dieses Territorium an uns und der Welt ist das wahrscheinlich eh egal, was mit diesen paar Leuten passiert, die im Shingalgebirge wohnen und hier leben, die Ezid_innen. Dass es dann am Ende aber nicht so war, haben sie ja auch gemerkt.

Das war eine harte Zeit. Weil du warst auf der einen Seite sehr ohnmächtig auch, du hast Familie, Angehörige, Freunde, Bekannte gehabt, mit denen du telefoniert hast, bei denen dann auf einmal die Verbindung weg war und du nicht wusstest, wenn du es jetzt nochmal versuchst, geht er nochmal ran oder ist er jetzt erschossen worden von denen. Das können wir uns nicht vorstellen. Wir leben in einem Land, in dem wir Strukturen haben, die wir natürlich auch manchmal einfach nur scheiße finden, die aber auch dann immer noch demokratisch verlaufen. Da drüben – das war so unmenschlich und nicht zu fassen, dass wir gedacht haben, wie kann es sein, dass es in der heutigen Zeit, so etwas noch gibt. Leider lernt der Mensch nie dazu. Es gibt immer Menschen, die krank in der Birne sind und immer Leute, die irgendwie versuchen, eine Ethnie oder eine Zugehörigkeit einer Volksgruppe auszuradieren, was überhaupt nicht nachvollziehbar ist, für normal denkende Menschen. Und das war eine sehr harte Zeit auch. Gerade wenn du Familie dort hattest oder immer noch hast.

Also bei der Demo selbst, die wurde irgendwann initiiert, ich habe keine Ahnung von wem genau. Ich wusste nur, dass dann zu einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Uhrzeit, Leute sich alle getroffen haben und das ging durch alle Kulturkreise. Also überwiegen natürlich Menschen mit ezidisch-kurdischen Wurzeln, aber auch muslimische Mitbürger_innen, muslimische Kurd_innen, Deutsche waren viele dabei. Was ich gemerkt habe, ist, dass wenn auf der einen Seite der Welt irgendwo Unrecht geschieht und die Menschen… also ich gehe davon aus und ich bin mir ziemlich sicher, wenn die Leute in ganz Europa und auch das jetzt unabhängig von Celle, in ganz Europa und auch in vielen anderen Ländern nicht auf die Straße gegangen wären, hätte sich keiner für die Region Shingal interessiert. Niemand. Es wäre nie einer eingeschritten. Weil der öffentliche Aufschrei war so groß, dass die Politik Handlungsbedarf gesehen hat. Durch diese wirklich hunderttausende von Menschen, die überall auf der Welt auf der Straße waren, hat die Politik gesagt, jetzt müssen wir was machen. Ob das jetzt ein Korridor war, ob das Hilfsgüter waren. Ich erinnere mich daran, wie wir im EKZ [Ezidisches Kulturzentrum/ Mala Ezdiyan] waren und dort LKW- Ladungen für die Menschen zusammengestellt haben. Wie aber auch viele Deutsche mit dem Auto vorbeikamen und gesagt haben: Hier haben wir noch einen Karton mit Klamotten oder Babymilch oder irgendwelchen anderen Sachen. Da hat man gemerkt, in so einer Krise hält man zusammen. Gerade bei den Celler_innen war das extrem krass, fand ich auch. Weil hier so viele mitgearbeitet haben.

Bearbeitungshinweis: In Fällen, in denen im mündlichen Interview das generische Maskulinum verwendet wurde, haben wir uns entschieden, in der bearbeiteten Textversion die Schreibweise mit einem Unterstrich zu verwenden. Dies soll verdeutlichen, dass Menschen aller Geschlechter gemeint sind.